Urteile

Urteile aus der Medizinhaftung

Kein Schadensersatz wegen der Nichtbeendigung lebenerhaltender Maßnahmen

Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig.
Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben – und zwar auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen.

Aus dem durch lebenserhaltende Maßnahmen ermöglichten Weiterleben eines Patienten lässt sich daher kein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld herleiten.
Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere dienen diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.

Ein niedergelassener Allgemeinmediziner hatte einen unter Betreuung stehenden, bewegungs- und kommunikationsunfähigen Patienten fortgeschrittenen Alters hausärztlich behandelt. Der Patient wurde in den Jahren vor seinem Tod mittels einer PEG-Magensonde künstlich ernährt. Sein Wille hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen ließ sich nicht feststellen. Der Sohn des Verstorbenen war der
Ansicht, die künstliche Ernährung habe nur noch zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens seines Vaters geführt, und Haftungsklage gegen den Arzt erhoben.

Bundesgerichtshof. Urteil vom 02.04.2019 – VI ZR 13/18
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Zur Anwaltshaftung nach Abfindungsvergleich im Arzthaftungsprozess

Rechtsanwälte müssen ihre Mandanten vor dem Abschluss eines Abfindungsvergleichs über dessen Bedeutung und Inhalt umfassend belehren. Besteht die reale Gefahr, dass die Haftpflichtversicherung eines in Anspruch genommenen Arztes wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalls vollständig die Regulierung ablehnen könnte, spricht dies dafür, dem Mandanten zum Abschluss des Vergleichs zu raten.

Eine Frau war wegen andauernder Beschwerden nach einem Verkehrsunfall operiert worden. Weil eine medizinische Indikation für den Eingriff nicht vorlag, beauftragte sie die beklagten Anwälte, Haftungsklage gegen den operierenden Arzt zu erheben. Nach Einleitung des Verfahrens führte die befasste Anwältin Regulierungsgespräche mit der Versicherung des Arztes und unterzeichnete einen Abfindungsvergleich im Namen der Klägerin, die anschließend behauptete, sie sei nicht richtig über dessen Tragweite aufgeklärt worden. Bei korrekter Aufklärung hätte sie dem Vergleich nicht zugestimmt. Ihre Klage auf Schadenersatz in Höhe von knapp 300.000 € hatte jedoch keinen Erfolg. Die Gerichte konnten keine Pflichtverletzung erkennen. Ohne Vergleichsschluss habe zudem die reale Gefahr bestanden, dass die Versicherung des Operateurs diesem den Versicherungsschutz verweigere, weil er möglicherweise vorsätzlich gehandelt habe. Im Übrigen habe der Sachverständige nicht alle von der Klägerin geltend gemachten Folgeschäden auf den Unfall zurückführen können, und der Klägerin habe es an einem Schaden gefehlt.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 03.12.2019 – 8 U 129/18